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Heinrich Manns »Untertan« lesen IV

Zu Heinrich Manns 150. Geburtstag am 27. März 2021 ist eine opulent ausgestattete Neuausgabe seines großen Romans »Der Untertan« bei S. Fischer erschienen. Wir sprachen mit dem Autor Ulrich Peltzer über Heinrich Manns Roman.

In einem Brief an Stefan Zweig vom 17.3.1919 weist Heinrich Mann darauf hin, dass ihn beim Schreiben des »Untertan« »noch mehr Einsicht als Haß« geleitet habe, und er erinnert an die Vielschichtigkeit seiner Figuren, auch seiner leider oft nur noch als Karikatur wahrgenommenen Hauptfigur. Wie haben Sie die Figuren im »Untertan« beim Wiederlesen erlebt? Und kann man sich das als Erzähler überhaupt leisten: Hass auf die eigenen Figuren, auch wenn sie womöglich noch so dumm und grausam sind?

Man muss immer ganz auf der Seite seiner Figuren sein, sonst wären sie nur didaktisches Material, Strohmänner und -frauen für fremde Gedanken, das heißt, die ihrer Autoren. Um sie vorführen zu können als Beweis einer überlegenen politischen oder moralischen Haltung, nämlich der eigenen. Nichts ist öder, nichts langweilt mich beim Lesen mehr, literarische Klippschule sozusagen. Wie man die umgeht, zeigt Mann im »Untertan« vorbildlich, gerade weil dem satirischen Roman ein Moment des Besserwissens eingeschrieben ist, aus dem er seinen Reiz, seinen Humor, auch seine Schärfe und Präzision gewinnt. Heßling jedoch besitzt eine Ambivalenz, die ihn nicht völlig reduziert auf einen autoritären Charakter in seiner ganzen Schäbigkeit, sondern ihn gleichermaßen zeigt als jemand, dem Irritation und Zweifel nicht restlos fern liegen, ein durch und durch gezeichnetes Individuum wie wir alle. Das ist ein schmaler Grat, auf dem Mann da balanciert, aber er tut das perfekt. 

 

Klaus Mann hat bei seiner Wiederlektüre des »Untertan« 1936 im Exil in Amsterdam nicht nur das Prophetische des Romans bewundert, sondern hatte auch »großen Spaß«. Was macht aus Ihrer Sicht heute das Prophetische, aber auch den Spaß des »Untertan« aus?

Man lacht eben auch über sich selbst. Heinrich Mann denunziert nicht, vielmehr erkennt man im Romanpersonal immer wieder eigene Verhaltensweisen, so ungern man sie sich eingesteht. Nicht zuletzt ist der »Untertan« eine Aufsteigergeschichte, und leben wir heute nicht in einer Epoche, die wieder nicht genug kriegen kann von solchen Geschichten, aus der Garage an die Spitze der Börse? Was vielleicht eher ein Verfallszeichen als eines von Aufbruch zu neuen kapitalistischen Ufern ist, eine schräge Welt der Spekulation, in der man nur noch sein Schnäppchen machen will. Von CumEx bis Gamestop.

 

Obwohl gerade erst ihr neuer Roman »Das bist du« erschienen ist, der ins West-Berlin der frühen achtziger Jahre führt und alles andere als Aufsteigergeschichten erzählt, arbeiten Sie bereits am nächsten Roman, der satirisch von der Gegenwart erzählt. Warum satirisch und was kann man als Erzähler dabei von Heinrich Mann lernen?

Satirisch, weil ich bestimmte Dinge beim besten Willen nicht mehr ernst nehmen kann, insbesondere nicht, wie leichtgläubig sich die Leute nach wie vor das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Andererseits befällt mich, denke ich an die Skrupellosigkeit vieler Protagonisten dieser Geschäftspraktiken, eine kalte Wut, wie ich sie in Pasolinis großem Romanfragment »Petrolio« wiederfinde, irgendwo dazwischen – zwischen Heinrich Mann und Pasolini, zwischen Satire und kalter Wut – wird das angesiedelt sein. Was sich jetzt ein wenig widersprüchlich anhört, aber so ist es.

Ulrich Peltzer, geboren 1956 in Krefeld, studierte Philosophie und Psychologie in Berlin, wo er seit 1975 lebt. Er veröffentlichte die Romane »Die Sünden der Faulheit« (1987), »Stefan Martinez« (1995), »›Alle oder keiner‹« (1999), »Bryant Park« (2002) und »Teil der Lösung« (2007) sowie die Frankfurter Poetikvorlesungen »Angefangen wird mittendrin« (2011). Sein ...

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Die große Neuausgabe von »Der Untertan«

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