Am 23. Mai 1998 jährte sich der Abschluss meines Medizinstudiums an der Universität von Buenos Aires zum fünfundzwanzigsten Mal. Meine langjährige Erfahrung als Therapeut und Patient halfen mir zu begreifen, dass eine enge Verbindung zwischen der Philosophie besteht, wie sie ursprünglich angelegt war, der Psychotherapie, wie ich sie verstehe, und der ewigen Weisheit, von der Aldous Huxley spricht (Aldous Huxley, Die ewige Weisheit, 1946). Alle drei, so finde ich, beschäftigen sich in erster Linie mit der Freiheit des Individuums, dem Weg zu einem erfüllten Leben und der Erkenntnis der letzten Wahrheiten und bieten sich deshalb besonders an, etwas über das Leben zu lernen.
Dennoch finde ich in den Konzepten, die unsere Gesellschaft jedem dieser Bereiche zuordnet, allerhand Irrwege, Schwierigkeiten und Widersprüche, die mir täglich begegnen.
Was die Psychologie betrifft, so zeigt schon der Umstand, dass es mehr als vierhundertfünzig verschiedene psychotherapeutische Schulen gibt, dass es keine einheitliche Wissenschaft des menschlichen Verhaltens und seiner Methodologie gibt. Ich persönlich misstraue den Hauruck-Methoden, die entwickelt wurden, um rasche Resultate zu erzielen. Nicht, weil ich sie für nutzlos hielte, sondern weil sie uns nur dabei helfen können, erfolgreich oder effizient zu sein, wohl kaum aber, ein glücklicheres Leben zu führen. Andererseits stehe ich auch solchen Therapien skeptisch gegenüber, die eine mechanistische Herangehensweise bevorzugen. Zu oft fordern sie, dass wir unser ganzes Leben darauf ausrichten, die Gründe für unsere Leiden und den tieferen Ursprung unserer Neurosen zu finden, und versprechen im Gegenzug, dass uns das mit unserem Schmerz versöhnen wird. Ich verstehe psychologische Hilfe vor allem als einen Prozess, der im Grunde darauf beruht, einem Menschen die Mittel an die Hand zu geben, damit er besser leben, sich besser kennenlernen und vorausschauender sein kann, mit dem einzigen Ziel, dass dieses Sich-Bewusst-Werden ihm dabei hilft, nicht so oft in eine Falle zu tappen.
Die Philosophie wiederum erscheint uns oft als ein im wesentlichen enzyklopädistisches, hermetisches und spekulatives Wissen, das mit seiner Schwester im Geiste, der Weisheit, nur noch etymologisch verbunden ist (»Philosophie« geht auf das Griechische philos und sophos zurück, »Liebe zur Weisheit«). Mit anderen Worten: Sie ist zu einer selbstreferentiellen Beschäftigung mit dem gelehrten, auf Bildung beruhenden Wissen geworden, das fast unbemerkt den Platz seiner Schwester eingenommen hat. Nur wenig hat diese Wissenschaft von dem bewahrt, was sie ursprünglich einmal war: eine Schule par excellence, die den Menschen lehrte zu leben.
Weisheit assoziieren wir meist sofort mit dieser Art von abstraktem Wissen. Wenn wir dieses Wort hören, denken wir automatisch an introvertierte, ernsthafte Denker, die sich in der Stille staubiger, düsterer Bibliotheken vergraben, während sich auf der anderen Seite des Fensters die wunderbaren Freuden des Lebens ereignen.19
Doch auch wenn unsere Zivilisation das nicht wahrhaben will, in Wirklichkeit ist Weisheit dort zu finden, wo sich Wissen, Erfahrung, persönliche Veränderung und innere Befreiung vereinen.
Der Mensch zündet sich in der Nacht ein Licht an, ganz von sich aus.
Heraklit
Ein umfassendes Wissen erklärt die Realität nicht, sondern macht Teilhabe an ihr erfahrbar. Es erbringt den Beweis, dass ein erfülltes Leben nur dann möglich ist, wenn wir begreifen, wer wir sind, nachdem wir in den Ursprüngen unserer Identität aufgegangen sind.